03.05.2021

950 Jahre St. Florianer Sängerknaben

Eine Schule des Lebens

Schon beim Betreten der Räumlichkeiten spürt man sie: die warmherzige, familiäre Atmosphäre, die bei den St. Florianer Sängerknaben herrscht. Unaufgefordert öffnet mir ein Bub, der mich zufällig davorstehen sieht, die gläserne Türe, kaum, dass ich geläutet habe. Freundlich weist er mir danach den Weg zu meinem Gesprächspartner, Chorleiter Markus Stumpner. Auf dem langen Gang zu dessen Büro begegne ich weiteren Sängerknaben, die alle ebenso freundlich grüßen. Selbstverständlich ist das heutzutage nicht. Wenn man aber mit dem jungen Chorleiter, den die Buben liebevoll „Stumpi“ nennen, erst einmal ins Gespräch kommt und dann auch noch dem „Herrn Magister“, dem künstlerischen Leiter Franz Farnberger begegnet, der seit 1983 all sein Herzblut den St. Florianer Sängerknaben widmet, wird rasch klar, woher der positive Geist in diesen Hallen weht. „Wir bemühen uns sehr, das Leben hier für die Buben so zu gestalten, dass es für sie ein zweites Zuhause ist“, sagt Markus Stumpner. „Nur wenn die Kinder glücklich sind, können sie sich entfalten. So zentral für uns das Singen ist, sind wir doch auch eine Schule des Lebens. Der soziale Umgang miteinander ist uns sehr wichtig und natürlich die Erziehung zur Selbstständigkeit.“

Schon die Wiener Sängerknaben sind mit ihrer 522-jährigen Geschichte eine altehrwürdige Institution. Gegenüber ihren oberösterreichischen Kollegen jedoch nehmen sie sich geradezu jugendlich aus, blicken die Florianer doch auf eine 950-jährige Tradition zurück. Erstmals erwähnt werden sie im Jahr 1071, als die Augustiner Chorherren ins Stift St. Florian einzogen. Schwer zu belegen ist, wie viele Sängerknaben es zu bestimmten Zeiten jeweils gab. Anton Bruckner jedenfalls, ihr wohl berühmtestes Mitglied, war einer von gerade mal dreien, mehr Sängerknaben gab es in seiner Kindheit in St. Florian nicht. Heute leben 44 Buben im Internat, das sich direkt im Stiftsgebäude befindet.

950 Jahre St. Florianer Sängerknaben
Florianer Sängerknaben © Werner Kerschbaummayr

Ursprünglich wurden die St. Florianer Sängerknaben ausschließlich zu religiösen Diensten in der Stiftskirche herangezogen. Doch schon unter Chorleiter Hans Bachl, vor allem aber unter seinem Nachfolger Franz Farnberger, erweiterten sie ihr Repertoire und knüpften enge Kontakte zur Außenwelt. Regelmäßige Tourneen rund um die Welt sowie die Mitwirkung bei Opernproduktionen in Linz, bei den Salzburger Festspielen, in Aix-en-Provence, beim Carinthischen Sommer und bei anderen renommierten Festivals zeugen von der hohen Qualität der künstlerischen Arbeit, die hier geleistet wird.

Wie aber wird man Sängerknabe in St. Florian? Markus Stumpner selbst liefert dafür ein anschauliches Beispiel: „Meine Volksschullehrerin, die eine Familie mit einem Sängerknaben als Nachbarn hatte, drückte mir eine Postkarte der St. Florianer Sängerknaben in die Hand und meinte, ich solle doch vorsingen.“ Berufsmusiker*innen gab es in seiner Familie zwar nicht, doch der Vater und seine vier Geschwister beherrschten alle ein Instrument, es wurde daher viel musiziert und auch gesungen. „Ich hatte das Glück, dass mich meine Eltern bei all meinen Vorhaben, die mir in den Sinn kamen, unterstützten. So auch bei meinem Wunsch, Sängerknabe zu werden.“ Das Leben im Internat war für Markus Stumpner kein Problem. „Ich bin gerne unter Menschen. Mit 40 anderen Burschen den Alltag zu teilen, Fußball zu spielen, all das hat sehr viel Spaß gemacht. Nicht zu vergessen die unzähligen Reisen, die mich schon in viele Länder der Welt geführt haben. Meine erste Reise mit den Sängerknaben ging nach Brasilien. Mit fünf Kindern hätten sich meine Eltern Reisen nie leisten können.“ Vor allem aber hat Markus Stumpner die Musik für sich entdeckt. „Das erste Mal eine Messe mit Orchester zu singen, nimmt man zunächst wahrscheinlich gar nicht als so etwas Besonderes wahr. Aber später, wenn man darüber reflektiert, wird es zum prägenden Erlebnis.“ Nach dem Stimmbruch, der bei Markus Stumpner erst einsetzte, als er schon Schüler des Adalbert Stifter Gymnasiums in Linz war, wurde er Mitglied des Chores ehemaliger Sängerknaben und kleinerer Vokalensembles. Bei dem im Vorjahr allzu früh verstorbenen Tenor Kurt Azesberger hat er sein Gesangsstudium absolviert, außerdem studierte er Chorleitung und Pädagogik. Als Stimmbildner kehrte er schließlich zu den St. Florianer Sängerknaben zurück, 2018 wurde er zum Chorleiter bestellt. 

In die Fußstapfen Franz Farnberges zu treten, ist nicht leicht, doch Stumpner streut seinem Vorgänger und Mentor Rosen: „Mit Worten all seine Verdienste um die Sängerknaben zu würdigen, ist nahezu unmöglich. Ich bin ihm dankbar, dass er mir als Chorleiter viele Freiheiten lässt, trotzdem kann ich mich jederzeit an ihn wenden, wenn ich seinen Rat brauche.“ Franz Farnberger ist auch dafür bekannt, dass er den Knaben spielerisch die Musik nahebringt, worauf Markus Stumpner ebenfalls großen Wert legt. „Es gibt Stücke, die die Kinder anfangs überhaupt nicht mögen, die im Lauf der Zeit aber zu Herzensstücken werden.“

Eine enge Verbindung haben die St. Florianer Sängerknaben zum Brucknerhaus Linz. Dort werden sie am 25. Mai ein Festkonzert zu ihrem 950-Jahr-Jubiläum unter Markus Stumpner mit Franz Farnberger am Klavier geben. Das Programm widmet sich Klängen der Jahreszeiten und enthält Madrigale der Renaissance sowie Werke von Schubert, Brahms und anderen. Außerdem erklingt das Liederspiel Die vier Jahreszeiten für Kinderchor und Klavier von Karl Weigl. 

Einen Druck von außen, Mädchen aufzunehmen, verspürt Markus Stumpner nicht. Auch wenn die Wurzeln von Knabenchören in einer längst vergangenen Zeit liegen, in der Frauenstimmen im Gottesdienst nicht zugelassen waren, rechtfertigen sich Knabenchöre nicht zuletzt durch ihren ästhetischen Reiz. „Wenn ein drei- oder vierstimmiger Knabenchor-Klang wirklich steht, ist das einfach etwas Unvergleichliches“, schwärmt Markus Stumpner. „Natürlich bietet ein Chor mit erwachsenen, ausgebildeten Stimmen mehr Perfektion, auch vom musikalischen Ausdruck her ist mit so einem Chor mehr möglich. Aber die ganz andere Stimmfärbung eines Knabenchors, das – im positiven Sinn verstandene – Naive des Ausdrucks, das Reine und Blanke, sind nicht weniger großartig.“

Sorgen bereitet Markus Stumpner allerdings der Nachwuchs. „Da in den Familien immer weniger gesungen wird, fehlt das Interesse. Normalerweise gehen wir daher in Volksschulen, um Talente zu entdecken und sie für die St. Florianer Sängerknaben zu begeistern.“ In Zeiten von Corona ist aber selbst das nicht möglich, weil Singen als gefährlich gilt und in den Schulen daher bis auf Weiteres verboten ist. „Mein Herzenswunsch wäre, dass Singen, Tanzen, Theaterspielen viel mehr in den Mittelpunkt der Bildung gerückt werden. Wie wichtig all das ist, haben schon die alten Griechen gewusst.“ Umso wertvoller sind daher Karrieren wie die des Countertenors Alois Mühlbacher, die bei den St. Florianer Sängerknaben ihren Ausgang genommen hat. „Alois ist durch seine Popularität ein echtes Aushängeschild für unseren Chor“, sagt Markus Stumpner. Doch letzten Endes ist es die wertvolle Arbeit, die er und all seine Kolleg*innen leisten, die garantiert, dass die große Tradition der St. Florianer Sängerknaben eine ebenso große Zukunft hat.

Peter Blaha

 

950 Jahre St. Florianer Sängerknaben
DI, 25. Mai 2021, 19:30 Uhr
Brucknerhaus Linz, Mittlerer Saal

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