27.02.2024

Anton Bruckners "Annullierte"

Zum weltweit ersten Mal werden im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 2024 alle elf Sinfonien Bruckners im Originalklang zur Aufführung kommen, eine Entdeckungsreise in elf Konzerten, die als Zyklus nur im Brucknerhaus Linz und dort jeweils exklusiv in Österreich zu hören sind. 

Die Sinfonien erklingen dabei stets in ihrer Erstfassung, gespielt werden sie von elf der renommiertesten Originalklangorchester Europas unter der Leitung von elf namhaften Dirigenten. Im Interview geben sie Auskunft über ihre Sicht auf Bruckner und darüber, welche Erwartungen sie mit Blick auf dieses besondere Projekt haben.

Am 12. September präsentiert Le Concert des Nations unter der Leitung von Jordi Savall Anton Bruckners Sinfonie Annullierte d-moll, WAB 100 (1869) sowie Werke von Franz Schubert und Robert Schumann.

 

Jordi Savall   im Interview 

 

Jan David Schmitz: Wieso eigentlich Bruckner im Originalklang?

Jordi Savall: Die Verwendung historischer Instrumente ermöglicht eine neue und authentischere Sichtweise auf dieses Repertoire. Allerdings muss eine anspruchsvolle Forschungs- und Interpretationsarbeit hinzukommen, die darauf abzielt, den ursprünglichen Klang und Ausdruck wiederzuentdecken, der für die musikalische Praxis der Bruckner- Zeit typisch ist, und zwar mit Hilfe von Aufführungstechniken, die auf den damals geltenden historischen und stilistischen Kriterien basieren.

JDS: Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen der Aufführung einer Bruckner-Sinfonie auf historischen im Vergleich zu modernen Instrumenten?

JS: Die wichtigsten Unterschiede ergeben sich aus der Klangqualität der historischen Instrumente. Hier haben wir auf der einen Seite die Gruppe der Holzblasinstrumente: Querflöten, Oboen, Klarinetten und Fagotte mit dem Klang von Instrumenten, die noch wirklich aus Holz gefertigt sind. Auf der anderen Seite gibt es die Gruppe der Blechblasinstrumente mit dem Klang von Naturhörnern und Trompeten, die einen sehr hellen Ton haben können, ohne schwerfällig zu sein. Und schließlich – für das optimale Gleichgewicht – die Gruppe der Streichinstrumente, mit denen sich dank der spezifischen Artikulationstechniken für Darmsaiten und der flexibleren historischen Bögen eine bessere Balance erzielen lässt.

JDS: Weshalb hat die historische Aufführungspraxis gerade um Bruckners Sinfonien so lange einen großen Bogen gemacht?

JS: Die Generation der Pioniere der historischen Aufführungspraxis begann nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aktiv zu werden, was einige Zeit später die Gründung von Originalklangorchestern möglich machte. Erst dann konnten wir genügend spezialisierte Musiker*innen versammeln, um uns diesem Repertoire zu widmen. Seither mussten wir einen weiten Weg zurücklegen, um die Instrumente, die jeder Epoche und Tradition entsprechen, zu studieren und schließlich glänzend zu beherrschen.

JDS: Wie wird der Einsatz des historischen Instrumentariums unser Bruckner-Bild verändern?

JS: Das Klangbild von Bruckners Werk ändert sich in erster Linie je nach persönlichem Verständnis und Vision des Dirigenten, aber auch durch die reichhaltigen Klangfarben der historischen Instrumente im Zusammenspiel mit der Wiedererlangung der Vielfalt an Artikulations- und Ausdrucksnuancen, die den Streichinstrumenten eigen sind. Abgesehen davon, dass wir etwa Darmsaiten und historische Bögen verwenden, dürfen wir nicht vergessen, dass die Musiker aus Bruckners Zeit Traditionen aufrechterhielten, die sich aus gut hundert Jahren Erfahrung speisten, und diese mit Liebe und hohem Anspruch von Generation zu Generation weitergegeben wurden.

JDS: Warum die „Annullierte“? Was fasziniert Sie an diesem Werk?

JS: Zum einen erscheint mir diese Sinfonie als das beste Werk, um die Annäherung an den sinfonischen Kosmos Bruckners zu beginnen und zum anderen stimme ich mit Paul-Gilbert Langevin darin überein, „dass sie ein wertvolles Bindeglied in der Geschichte der Sinfonik darstellt, weil das Jahrzehnt, in dem sie entstand, eines der unfruchtbarsten des 19. Jahrhunderts war und nur sehr wenige Sinfonien hervorbrachte, die es wert sind, mit ihr verglichen zu werden, sowohl in Bezug auf die Breite der thematischen als auch die Qualität der musikalischen Erfindung.“

 

Jordi Savall © David Ignaszewski
Jordi Savall © David Ignaszewski
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