20.06.2023

Festrednerin 2023: Anna Baar

Passend zum Motto AUFBRUCH. DAS EWIG-WEIBLICHE / ZIEHT UNS HINAN. hält heuer eine Frau die Festrede bei der feierlichen Eröffnung des Internationalen Brucknerfestes Linz 2023 am 10. September um 10:30 Uhr: Die österreichische Schriftstellerin Anna Baar konnte als Festrednerin gewonnen werden. 

Dank ihres unverwechselbaren Erzähltons, einer Bildhaftigkeit, die der „Coolness“ unserer Zeit durchaus mit Pathos kontert, ihres radikalen Auslotens der Grenzen der Erzählkunst und ihres beständigen Aufzeigens politischer und sozialer Ungerechtigkeiten und gesellschaftlicher Tabus gilt sie als eine der kühnsten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur. 

Nach zahlreichen Würdigungen wurde ihr 2022 der Große Österreichische Staatspreis zuerkannt. Gegenstände ihrer Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Reden und Essays sind Krieg, Verlust, Randständigkeit und das Ringen um Würde und Versöhnung. Die vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin steht dabei immer wieder auch für Minderheiten und Benachteiligte ein, ohne dabei in identitätspolitischen Jargon oder Formeln politischer Korrektheit zu verfallen. Jenen, die nicht gehört werden, auch ohne eigene Betroffenheit zu Gehör und Verständnis zu verhelfen, sei, so meint sie, nicht nur ein Recht, sondern die Pflicht des Erzählers*der Erzählerin.

Wie ernst es ihr damit ist, demonstrierte sie zuletzt in ihrer anlässlich der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur gehaltenen Klagenfurter Rede zur Literatur Die Wahrheit ist eine Zumutung, in der sie – anknüpfend an Ingeborg Bachmanns Erzählung Jugend in einer österreichischen Stadt – einen jahrzehntelang verschwiegenen Kinderschänderskandal zur Sprache brachte. Das Schöne und Gute, an das sie bedingungslos glaubt, findet Anna Baar unter anderem in Naturbetrachtungen und in der Kunst, in der sie einen Weg zur Vergebung sieht.

 

10.09.2023 Festakt Festrede Anna Baar ( PDF |370.77 KB)

Festrede | Anna Baar | Festakt Internationales Brucknerfest 2023

Anna Baar © Johannes Puch
Anna Baar © Johannes Puch

 Als einstige Klavierschülerin, herangebildet am Musikzweig des Stiftsgymnasiums Viktring, mehrjährige Studentin der Theaterwissenschaften, promovierte Publizistin und wache Beobachterin des kulturellen Lebens schaut sie dabei mitunter weit über die Literatur hinaus. Ihre Begleittexte für Museen, Ausstellungen und musikalische Aufführungen, darunter regelmäßig erscheinende Beiträge für Premierenprogrammhefte der Wiener Staatsoper, sind freundlich staunende Annäherungen und Reminiszenzen, die keinen Anspruch auf Objektivität oder Expertinnenschaft erheben: Das Selbst wirkt darin als Reagenz, das sich in seiner Zuständigkeit für den Anklang dem Eindruck erst zuzufügen, sich also in einem umfassenden Sinn dem Werk zuzugeben hat. Das Ich bezeichnet sie als Resonanzraum, die Begriffsstutzigkeit als Grundbedingung des Wundernehmens. Wie die Übersetzung aus der Begriffsstutzigkeit gelingen kann, zeigt Anna Baar in ihrem Sammlungsband He, holde Kunst!, der im Herbst 2023 erscheinen wird.

„Fragte man mich nach der Herkunft, ich müsste wohl behaupten: Ich komme von Mozart, Cave, Cohen und so weiter. Musik war in meinem Bewusstsein lange Männersache, der Genius viril. Alte Mythen und Religionen schreiben das Weibliche dem Irdischen, das Männliche aber dem Göttlichen zu, wiewohl sie samt und sonders von den einander bedingenden Anteilen einer Ganzheit ausgehen. Was im diesjährigen Motto des Brucknerfestes Linz AUFBRUCH. „DAS EWIG-WEIBLICHE / ZIEHT UNS HINAN.“ anklingt, ist ein Dualismus des Seins, dessen Zwischentöne und Schattierungen in einer Zeit des vielbeklagten Schrumpfens der politischen Mitte und der neu aufkeimenden Extremismen vielfach übersehen, in Abrede gestellt oder bekämpft werden. Wo zudem das männliche Prinzip überhandnimmt, ihm die aufrichtende Kraft des Weiblichen abhandenkommt, wirkt es zersetzend. Krankt unsere Welt des Kräftemessens, Machtstrebens, der Grobheit und Ratio an einem Mangel des Weiblichen? Wie weit sind wir heute in Fragen des kulturimmanenten Sexismus, welche Rolle spielen das weibliche und das männliche Prinzip in Politik und Gesellschaft und was bleibt zu tun, um in Einklang zu kommen? Die Einladung, die Festrede zur Eröffnung des Brucknerfestes zu halten, ehrt und freut mich sehr. Wo Kunst gefeiert wird, tun sich Räume für Vergebung auf. Es braucht diese Räume, sehr.“ Anna Baar, Festrednerin des Internationalen Brucknerfestes Linz 2023

 

Festakt – Feierliche Eröffnung des Internationalen Brucknerfestes Linz 2023
SO, 10. September 2023, 10:30 Uhr
Brucknerhaus Linz, Großer Saal

Tickets für die Galerie sind zum Einheitspreis von € 10,– erhältlich!

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