09.04.2024

Anton Bruckners Sinfonie Nr. 4

Zum weltweit ersten Mal werden im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 2024 alle elf Sinfonien Bruckners im Originalklang zur Aufführung kommen, eine Entdeckungsreise in elf Konzerten, die als Zyklus nur im Brucknerhaus Linz und dort jeweils exklusiv in Österreich zu hören sind. 

Die Sinfonien erklingen dabei stets in ihrer Erstfassung, gespielt werden sie von elf der renommiertesten Originalklangorchester Europas unter der Leitung von elf namhaften Dirigenten. Im Interview geben sie Auskunft über ihre Sicht auf Bruckner und darüber, welche Erwartungen sie mit Blick auf dieses besondere Projekt haben.

Am 4. Oktober präsentiert Concerto Köln unter der Leitung von Kent Nagano Anton Bruckners Sinfonie Nr. 4 („Romantische“) Es-Dur, WAB 104 (1874, 1876) „Fassung 1874“ sowie Werke von Béla Kéler und Benjamin Godard.

 

Kent Nagano im Interview 

 

Jan David Schmitz: Wieso eigentlich Bruckner im Originalklang?

Kent Nagano: Wir bewegen uns heute ästhetisch in vielen historischen Epochen und deren Kulturen. Also liegt es nahe, deren Fundamente näher zu betrachten, zu erforschen und eben auch in der Praxis unseren Aufführungen zugrunde zu legen.

JDS: Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen der Aufführung einer Bruckner-Sinfonie auf historischen im Vergleich zu modernen Instrumenten?

KN: Die größten Unterschiede wird man wahrnehmen, wenn die instrumentalen Unterschiede zwischen „alt“ und „neu“ entsprechend stark ausfallen. Wenn die Streicher auf Darmsaiten spielen, ist der Klang beispielsweise weicher und zugleich rauer als im Falle der Besaitung mit metallumsponnenen Saiten. Im Übrigen aber wird es immer darauf ankommen, wie Dirigent und Musiker*innen mit den jeweiligen Gegebenheiten und deren klanglichen Resultaten umgehen.

JDS: Weshalb hat die historische Aufführungspraxis gerade um Bruckners Sinfonien so lange einen großen Bogen gemacht?

KN: Weil die Sinfonien Anton Bruckners einer musikalischen Ära, das heißt einer Ästhetik und Praxis, angehören, die seit der Etablierung der musikalischen Klassik in ihren Grundlagen stets aktuell war und es bis heute ist, die nie neu entdeckt wurde oder entdeckt werden musste. Dies ist der entscheidende Unterschied zur Barockmusik und deren „Wiederauferstehung“. Sie wurde im beginnenden 20. Jahrhundert wieder neu entdeckt, interessanterweise in dem Zeitraum, da sich erneut ein Epochenwandel abzeichnete und die romantische Ära sowie deren Ästhetik in Auflösung begriffen waren. Bruckners Musik hingegen ist seit ihrer Entstehung bis heute durchgängig lebendig geblieben und hat eine hohe Aktualität. Sie ist gegenwärtig und diese Gegenwärtigkeit marginalisiert die möglichen Veränderungen oder lässt sie als integralen Bestand im Radius der interpretatorischen Möglichkeiten erscheinen.

JDS: Wie wird der Einsatz des historischen Instrumentariums unser Bruckner-Bild verändern?

KN: Darauf eine Antwort zu finden, ist schwierig. Und zwar einfach deshalb, weil das „Image“ eines Komponisten von sehr vielen Faktoren beeinflusst wird, nicht zuletzt von Rang und Bedeutung eines Dirigenten und Orchesters sowie auch davon, welcher Ideengehalt den Sinfonien Bruckners in ihrer Wahrnehmung ebenso wie in ihrer Auslegung zugeschrieben wird. Lokale und regionale Traditionen spielen bekanntlich eine hochbedeutende Rolle für die „Imagebildung“. Diesbezügliche Veränderungen oder gar Brüche im Bereich der Aufführungspraxis können sehr unterschiedliche Folgen haben oder auch – vielleicht verwunderlicherweise – gar keine.

JDS: Warum die ‚Vierte‘ in der „Fassung 1874“? Was fasziniert Sie an diesem Werk?

KN: Hier wird die Problematik der Sinfonie nach Ludwig van Beethoven, aber auch die Problematik des Bruckner’schen Schaffens ganz besonders deutlich. Die ‚Vierte‘ lässt gerade durch ihre verschiedenen Versionen erkennen, wie schwierig es damals war, mit Kreativität so umzugehen, dass sie auch zumut- und „konsumierbar“ für Publikum und Öffentlichkeit war. Faszinierend an der ‚Vierten‘ in der Erstfassung, und der Beiname „Romantische“ bringt es hier sehr treffend zum Ausdruck, ist das Zügellose, das ins Grenzenlose Tendierende, das ins Formlose sich Ausweitende.

 

Kent Nagano © Sergio Veranes Studio
Kent Nagano © Sergio Veranes Studio
Zurück zur Übersicht